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Ruth Baresel, geb. Köbner

Ruth Baresel (* 7. März 1876 in Kopenhagen; † 18. Oktober 1972 in Stuttgart) war im Bundes-Frauendienst und in der Waisen-Fürsorge des Bundes der Baptistengemeinden tätig. Sie veröffentlichte 1930 eine Biographie über ihren Vater.

ruth_baresel-koebner_1940.jpgKurzfassung:

Als einzige Tochter von Julius Köbner aus seiner zweiten Ehe mit der Dänin Dorothea Stagsted (1836-1878) wurde sie in Kopenhagen geboren und wuchs auf in der Familie Scheve in Berlin. Dort wurde sie von Vater Eduard Scheve 1888 getauft. Sie war seit 1898 mit Wilhelm Baresel verheiratet, mit dem sie seit 1901 in Stuttgart lebte und sich in der Baptistengemeinde (Silberburgstraße, heute: Forststraße) engagierte. Mit ihm hatte sie fünf Kinder.

Schon früh war sie diakonisch tätig. Im 1. Weltkrieg gründete und leitete sie eine Kinderkrippe in Stuttgart. Daraufhin verlieh ihr der württembergische König 1916 das Charlottenkreuz.

Mit der ihr befreundeten Berta Gieselbusch gründete sie 1932 den Bundes-Frauendienst als 2.Vorsitzende und war daneben in der Waisenfürsorge des Bundes tätig, führte Mütterfreizeiten durch und arbeitete im Frauenkomitee des Weltbundes mit. Obwohl sie Tochter eines geborenen Juden war, stand sie in diesen Funktionen im Dienst nachweisbar bis 1939. Noch im März 1943 ist sie im Verzeichnis der Stuttgarter Gemeinde aufgeführt. Zum Wiederaufbau der Köbner-Kapelle 1953 reiste sie von Stuttgart an und erzählte „so frisch von den ersten Kindheitserinnerungen an ihren Vater“ (Festschrift 125 Jahre in Barmen). 1930 gab sie im Oncken-Verlag Kassel eine umfangreiche Biographie über ihren Vater Julius Köbner heraus. (RF)

Unveröffentlichte KB von 1984 von G. Balders.

Weitere Kurzbiographie über Ruth Baresel-Köbner von Roland Fleischer (Oktober 2014/Januar 2015, unveröffentlicht), Oncken-Archiv Elstal.

Kurzbiographie in: Roland Fleischer, Judenchristliche Mitglieder in Baptistengemeinden im „Dritten Reich“: ThGespr Beiheft 12 (2012/2019), S. 3, http://www.theologisches-gespraech.de/archiv?start=21

Langfassung:

Sie war die einzige Tochter von Julius Köbner (1806-1884), dem Mitbegründer des deutschen Baptismus und Sohn eines Kaufmanns. (Später machte dieser eine Ausbildung zum Rabbiner.) Er hatte am 11.Januar 1875 in Kopenhagen nach sieben Witwerjahren zum zweitenmal geheiratet: die Dänin Dorothea Stagsted. Mit fast 70 Jahren wird Köbner Vater. Seine zweite Ehefrau stirbt schon bald am 1.Januar 1879 an einem Leber- und Lungenleiden und Köbner kehrt mit seiner dreijährigen Tochter von Kopenhagen nach Barmen zurück. Im Juni 1883 zieht Köbner mit Tochter Ruth nach Berlin, um die Leitung der Berliner Baptistengemeinde Schmidstraße nach dem Tod von Gottfried Wilhelm Lehmann zu übernehmen. Dort stirbt Köbner am 2. Februar 1884 und die fast 8jährige Ruth Köbner wird in die Familie von Eduard (1836-1909) und Bertha Scheve aufgenommen. Von ihm wird sie am 1.April 1888 in der Gemeinde Berlin-O, Gubener Straße, getauft. Mit der Tochter Bertha, die später Gustav Gieselbusch heiratet, verbindet sie eine lebenslange Freundschaft. Zwei Auslandsjahre verbringt sie in Portugal als Erzieherin.

1898 heiratet sie in Frankfurt den Bauingenieur Wilhelm Baresel (1874-1946), der dort zur Baptistengemeinde gehört. Mit ihm hat sie fünf Kinder. Sohn Carl (geb. 1899) trat 1927 in das Bauunternehmen C. Baresel AG in Stuttgart ein. Tochter Ilse (1902-1994) heiratet später Dr. Hermann Gieselbusch (1899-1979), den Sohn von Gustav Gieselbusch, den Direktor des Predigerseminars der Baptisten in Hamburg. Drei weitere Töchter (Berta, Käte und Marianne) lebten später in Israel.

1901 werden Wilhelm und Ruth Baresel Mitglieder der Stuttgarter Baptistengemeinde in der Silberburgstraße (später Forststraße) und bleiben es bis an ihr Lebensende. 1918/1922 wird Wilhelm Baresel Ältester und Leiter der Gemeinde Stuttgart. Ruth Baresel ist schon früh diakonisch tätig. Während des 1. Weltkrieges gründet und leitet sie eine Kinderkrippe in Stuttgart-Untertürkheim. Dafür verleiht ihr der württembergische König am 31.5.1916 das Charlottenkreuz. Sie engagiert sich in der Gemeinde als Sonntagsschullehrerin und darüber hinaus im Frauendienst des Bundes und in der Waisenfürsorge des Bundes und wird in beiden Funktionen in den Jahrbüchern des Bundes der Baptisten bis 1939 genannt. Mit Bertha Gieselbusch gründet sie 1932 den Bundes-Frauendienst. Lange Zeit ist sie neben Bertha Gieselbusch die 2.Vorsitzende. Auch bei Mütterfreizeiten hilft sie mit. Im Weltbund gehört sie zum Frauenkomitee. 1930 gibt sie im Oncken-Verlag eine umfangreiche Biographie (309 Seiten mit angefügtem Bildteil) über ihren Vater Julius Köbner heraus. (Im Anhang u.a. ein Bild ihrer Mutter Thea Stagsted). Ihr Vater veröffentlichte 1881 die Novelle „Die Geigerin“ und widmete sie seiner Geige spielenden Tochter (so Holger Kelbert in seiner Köbner-Biographie).

Dass sie als Tochter eines geborenen Juden kaum Repressalien in der Folge der Nürnberger Rassegesetze von 1935 erlitt, ist bemerkenswert. Darüber ist jedenfalls nichts bekannt. Es könnte damit zusammenhängen, dass ihr Mann Ältester der Gemeinde war und sie selbst Respekt genoss als Tochter eines der Gründerväter der Baptisten. Während alle bisher ermittelten Baptisten jüdischer Herkunft in der NS-Zeit aus den Gemeinden verdrängt und bis Sommer 1941 in den jährlich erscheinenden Verzeichnissen gestrichen bzw. nicht mehr genannt wurden, steht Ruth Baresel im Gemeinderegister für die Baptistengemeinde Stuttgart vom 1.3.1943 als einzige bisher bekannte Ausnahme (inzwischen auch Constance Hurter). Zeitzeugen erzählen, dass Schwiegersohn Hermann Gieselbusch sich von seiner Frau Ilse trennen sollte, damit er eine noch größere Karriere machen könne, was er aber abgelehnt hat. Folglich muss es auch Druck auf die Ehe der Eltern Wilhelm und Ruth Baresel wegen ihres jüdischen Vaters gegeben haben, dem der Ehemann offensichtlich widerstand.

Die 1. Deportation der Stuttgarter Juden begann am 1.Dezember 1941, weitere folgten. Damals lebten 4.490 Juden in Stuttgart, etwas mehr als 1 Prozent der Stadtbevölkerung. „Am 10.Januar 1944 erfolgte ein Schlag gegen die jüdischen Partner aus Mischehen.“ (Hans Stroh). (Der verantwortliche Gestapochef von Stuttgart, Friedrich Mußgay, beging 1946 Selbstmord.) Ob Ruth Baresel davon unmittelbar bedroht war, wissen wir nicht. Unklar bleibt, ob sie nach den NS-Rassegesetzen als Mischling 1. oder 2. Grades eingestuft wurde. Ihr Vater, Julius Köbner, war schon 1826 zur ev.-luth. Kirche (in Hamburg, St.Petri) konvertiert, bevor er durch seine Frau für die Baptistengemeinde Onckens gewonnen wurde.

Am 12. März 1946 stirbt ihr Mann Wilhelm Baresel. Er war seit 1936 2.Vorsitzender der Bundesleitung der Baptisten in Deutschland, hatte 1927 die Gründung der Sparkasse deutscher Baptisten initiiert (heute SKB, Bad Homburg) und leitete in Stuttgart die Baufirma Baresel. Ruth Baresel gehörte nach 1945 ebenfalls einige Jahre dem Aufsichtsrat der Baufirma an.

Am 18. Oktober 1972 ist sie in Stuttgart im Alter von 96 Jahren gestorben. Auf dem Waldfriedhof in Stuttgart-Degerloch wurde sie beigesetzt.

Der damalige Präsident Johannes Arndt hielt die Traueransprache. Sie wird im Nachruf in der Zeitschrift „Die Gemeinde“ wiedergegeben. U.a. sagte er: „Sie konnte sehr sachlich und nüchtern über vieles denken und reden. Aber sie konnte es nicht, ohne dass ihre Liebe als Bindung ihres Herzens und Lebens mitsprach. Und es ging auch gar nicht um das Reden, sondern um das Handeln … Es gibt kaum ein Gebiet der Arbeit, an dem sie nicht beteiligt gewesen wäre. Von der Sonntagschularbeit bis hin zur Bundesarbeit … Manche von uns kennen sie noch, wie sie an der Seite ihres Mannes die Bundeswaisenarbeit betreute und dann 1932 mit Bertha Gieselbusch zusammen den Frauendienst unseres Bundes begründete.“

Ihre jüdische Herkunft wird im Nachruf nicht ausdrücklich erwähnt. Erhard Rockel jedoch erzählt in seinem Beitrag in der Festschrift für Julius Köbner über die Enkelin Ilse Gieselbusch, dass ihr Mann Hermann Gieselbusch im 2.Weltkrieg nicht Offizier werden konnte, weil er „jüdisch vergiftet“ sei. Das Bewusstsein der jüdischen Herkunft des Vaters Julius Köbner ging in der Familie nicht verloren. Tochter (Enkelin) Ilse empfand eine starke Verbundenheit mit Israel als Volk und Land und ihre drei Schwestern lebten in Israel.

Quellen:

Die Gemeinde 1972, Nr. 52/53, S. 15f (Nachruf); versch. Zeitungsartikel aus 1966; Zeitungsausschnitt der Stuttgarter Zeitung vom 6.3.1971 (zum 95.Geb. „Verdient im Dienst am Nächsten“), Hauptstaatsarchiv Stuttgart; Die Gemeinde 1966, Nr. 10, S. 13 („Ruth Baresel-Köbner 90 Jahre“ von Hans Fehr und Schw. Auguste Lieske); Frauendienst 1966, März/April („Zum 90. Geburtstag“); Die Gemeinde 1971, Nr. 15, S. 15f (H. Gieselbusch, Zum 95. Geburtstag von Schwester Ruth Baresel-Köbner); 150 Jahre Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Stuttgart, 1838-1988 (Festschrift), S. 14.28; Ruth Baresel, Julius Köbner. Sein Leben, Kassel 1930; Archiv der EFG Stuttgart, Forststraße: Entlassungsschein der Baptisten-Gemeinde „Bethel“ in Berlin O., Gubener Straße / Jahrbuch 1910, 1912 und 1929 der Baptisten-Gemeinde Stuttgart / Der Bethel-Bote. Mitteilungen der EFG Stuttgart, Forststr, November 1972 (Nachruf) / Gemeinderegister für die Baptistengemeinde Stuttgart (vom 1.3.1943); Religions-Freiheit. Festschrift zum 200.Geburtstag von Julius Köbner, hrsg.v. E.Geldbach, M.Wehrstedt, D.Lütz, Berlin 2006; (Zur Situation der Stuttgarter Juden:) Hans Stroh, Das tödliche Nebeneinander. Evangelische Christen und die Stuttgarter Juden, in: Martin Klumpp (Hg), Wer ist unser Herr? Evangelische Christen und das Dritte Reich. Erfahrungen aus Stuttgart, Quell Verlag Stuttgart 1982, S. 138-161 (Zitat S.157); Erhard Rockel, Julius Köbners Enkelin, in: Religions-Freiheit, 2006, S. 43-46 (über Ilse Gieselbusch, geb. Baresel); Jahrbücher 1937, 1938, 1939 des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland; Holger Kelbert, Julius Johannes Wilhelm Köbner. Ein Überblick über Leben und Werk, in: Religions-Freiheit, 2006, (15-33), bes. 30-32; vgl. auch wikipedia-Art. Carl Baresel.

Oncken-Archiv und Köbner-Kabinett, Elstal: Nachlass Ruth Baresel (Briefe, Dokumente, Zeitschriften-Artikel u.a.).

Mein Dank gilt Thorsten Graff, besonders Rosemarie und Manfred Hähnel für ihre gründlichen Nachforschungen im Archiv der Gemeinde Stuttgart-Forststraße und Günter Balders, der mir Einsicht gab in den Nachlass von Ruth Baresel im Köbner-Kabinett in Elstal.

Roland Fleischer, Hamburg, 8. Oktober 2014/27. Januar 2015.

Jahrbücher des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland 1932-1939.

Nachlass Ruth Baresel sowie Hermann und Ilse Gieselbusch, geb. Baresel (Zeitschriften-Artikel, Briefe, Aufzeichnungen, Dokumente u. dgl.) im Oncken-Archiv (?) und im Köbner-Kabinett, Elstal.

Archiv der EFG Stuttgart, Forststraße.

Mutter und Kind, in: Jungbrunnen 1923, Nr. 1, 3 und 7.

Einiges über Kinderseelsorge, in: Hilfsbote 1928, H. 9, S. 201-204.

Julius Köbner. Sein Leben, Verlag J. G. Oncken Nachfolger, Kassel 1930 (311 S. mit umfangreichem Bildteil).

Frauendienst, ein Werk der Liebe, in: Wahrheitszeuge 10./11.3.1934, S. 74 (zusammen mit Berta Gieselbusch).

Ruth Baresel, Julius Köbner. Sein Leben, Kassel 1930, S. 187; Fünfter Baptisten-Welt-Kongreß. Deutscher Bericht des in Berlin vom 4. bis 10. August 1934 gehaltenen Kongresses, hg. v. W.Harnisch und P.Schmidt, Kassel 1934, S. 264.279; F. Townley Lord, Baptist World Fellowship. A short history of the Baptist World Alliance, London 1955, p. 83; Hans Fehr und Auguste Lieske, Ruth Baresel-Köbner 90 Jahre, in: Die Gemeinde 1966, Nr. 10, S. 13; Frauendienst 1966, März/April („Zum 90. Geburtstag“); H. Gieselbusch, in: Die Gemeinde 1971, Nr. 15, S. 15f; Die Gemeinde 1972, Nr. 52/53, S. 15f (Nachruf); D. Naujoks u.a. (Hg), 125 Jahre Gemeinde in Barmen 1852-1977, S. 49; E. Scheve, Dem Herrn vertrauen. Blüten und Früchte eines Lebens für Gemeinde, Mission und Diakonie, zusammengetragen v. G. Balders, Wuppertal 1979, S. 150; G. Balders (Hg), Ein Herr, 1984, S. 17; Festschrift 150 Jahre Ev.-Freikirchliche Gemeinde Stuttgart 1838-1988, S. 14.28; G. Balders, Eduard Scheve. „Handlanger und Vorangänger“, Wuppertal/Kassel 1989, S. 10; Hartmut Wahl, Das Gemeindebild der mittelalterlichen Täufer als Anfrage an unsere baptistische Gemeindepraxis, in: ThGespr 1/1992 (Festgabe für Adolf Pohl), S. (51-58) 54; Astrid Giebel, Glaube, der in der Liebe tätig wird (Baptismus-Studien 1), Kassel 2000, Register und 338; Wir feiern: 150 Jahre Köbners Kirche 2002, Hg. Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Wuppertal-Barmen 2002, S. 98, (Text: Holger Kelbert); Religions-Freiheit. Festschrift zum 200.Geburtstag von Julius Köbner, hgg.v. E. Geldbach, M. Wehrstedt, D. Lütz, Berlin 2006 (darin: Erhard Rockel über Julius Köbners Enkelin, S. 43-46 und Holger Kelbert über Julius Köbner, S. 15-33, bes. 30-32, außerdem G. Balders, S. 37.82.84.87.88.94).

Bildnachweis: Ines Kloke

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  • von rfleischer