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Annemarie Oesterle

Annemarie Oesterle (* 11. November 1920 in Dammlang, Kreis Deutsch Krone/Westpreußen; † 19. April 2009 in Kassel) war nach ihrem Studium der Geschichte und Theologie mit Dipl.-Dolmetscherin-Examen und dem Bachelor of Divinity, Mitarbeiterin der baptistischen Studentenarbeit, Verlagslektorin im Oncken Verlag in Kassel und danach Geschäftsführerin des Deutschen Verbandes Evangelischer Büchereien in Göttingen.

oesterle.jpgIhre Eltern gehörten zur Ev. Landeskirche. Der Vater war Rektor einer Oberschule in Westpreußen. Bei Kriegsende kam die Familie nach Hessen. Nach dem Abitur vertiefte sie ihre Englisch-Kenntnisse, legte das Examen als Dipl.-Dolmetscherin ab, ging nach Heidelberg und arbeitete dort im Amerikahaus spätestens seit Mai 1948 vermutlich im Sekretariat. Als Pastor Kenneth Norquist im Dezember 1948 ans Amerikahaus Heidelberg kam, wurde sie seine Sekretärin und lernte über ihn die Baptisten kennen. Er vermittelte ihr einen Studienaufenthalt in Minnesota/USA. Dort kam sie in Kontakt mit einer Gemeinde der Swedish Baptist Convention. Sie kam zum Glauben, nahm an einem Lehrgang in Geschichte teil und ließ sich am 20. August 1950 in St. Paul/Minnesota von Norquist taufen. (Pastor Kenneth Norquist war danach in Stuttgart von 1950-55 Leiter der Flüchtlingshilfe des baptistischen Weltbundes). Ende 1950 kehrte sie nach Deutschland zurück. Sie nahm Kontakt zu den deutschen Baptisten auf und engagierte sich bereits seit März 1951 im Arbeitskreis der Studentenarbeit im BEFG neben ihrer Tätigkeit im BWA-Büro bei Norquist in Stuttgart. 1952 bis 1955 studierte sie in St. Paul/Minnesota Theologie und erwarb den bachelor of divinity mit Auszeichnung (A. Liese). Von 1955 bis 1959 war sie hauptamtliche Mitarbeiterin in der Studentenarbeit. Als Peter Dienel ab September 1953 hauptamtlicher Studentenreisesekretär wurde (das Büro befand sich im Haus seines Vaters in Berlin-Steglitz), organisierte sie mit ihm zusammen die gesamte Arbeit einschließlich der Besuche, Freizeiten, Finanzfragen, Kontakte und Korrespondenzen. Sie arbeitete auch im deutschen Studentenwerk, Berlin. 1960 ließ sie sich von Berlin-Steglitz nach Kassel-Oberzwehren überweisen, um im baptistischen Oncken Verlag in Kassel als Übersetzerin und Verlagslektorin zu arbeiten. Ihr Chef war Verlagsleiter Hans Medernach. Sie gehörte neben Horst Weiß, Helmut Pohl und Ulrich Hühne seit 1965 zur Schriftleitung der Semesterzeitschrift (SZ) bis 1968. Ab 1968 war sie Gründungsmitglied der entstehenden EFG Kassel-West (neben Bernd Kuhn, Horst Weiß u.a.). Die Buchproduktion des Oncken Verlags Kassel wurde Ende 1970 eingestellt. „Annemarie Oesterle hielt die Einstellung der Buchproduktion ´für die schlechtestmögliche Lösung`, weil der Baptistenbund damit eine eigenständig profilierte Teilnahme an theologiebezogenen Veröffentlichungen aufgab“ (Diethard Dahm). Ab Mai 1971 begann sie in Göttingen als Geschäftsführerin des Deutschen Verbandes Evangelischer Büchereien, wo sie auch Mitglied der Gemeinde wurde. Nach Beendigung ihrer Tätigkeit beim Büchereiverband verbrachte sie ihren Ruhestand im Augustinum in Kassel und schloss sich wieder der Gemeinde Kassel-West an. Sie war befreundet mit den Familien Medernach und Horst Weiß. Nach Ausweis ihrer Übersetzungen für den Oncken Verlag war sie eine theologisch versierte (Markus Barth/1961 und Paul Minear/1964) und für die Fragen der Zeit (Harvey Cox/1967; Alan Paton/1969) aufgeschlossene Frau, wie es sie nur wenige im damaligen Baptismus gab. Sie wirkte als Verlagslektorin auch mit an anderen Buchveröffentlichungen des Verlags z.B. bei Liebje Kuylman-Hoekendijk, Christen nach Maß? Plädoyer für die Vielfalt/1970 und William Barclay, Der König und sein Reich/1970 (übersetzt von Ulrich Hühne). (RF nach D.Dahm, F.Fornaçon, U.Hühne und Andreas Liese)

Von Andreas Liese recherchierter Lebenslauf von 1948-1959:

Nach dem Krieg verschlug es Annemarie Oesterle nach Heidelberg. Sie fand eine Anstellung im Amerika-Haus. Ende 1948 kam der amerikanische Pastor Kenneth Norquist, der den Baptisten schwedischer Herkunft in Nordamerika angehörte (Baptist General Conference, zukünftig: BGC ), nach Heidelberg und wurde Leiter des Amerika- Hauses. Bald entstand eine enge Freundschaft des Ehepaars Norquist zu Annemarie Oesterle, sie gehörte zu diesem Zeitpunkt noch nicht dem Baptismus an. 1949 berief das Bethel College and Seminary – eine Einrichtung der BGC – Norquist als Dozenten für Geschichte. Er setzte sich dafür ein, dass Oesterle dort studieren konnte. Er erreichte, dass das College die notwendige Einladung aussprach. Oesterle studierte dann dort ab Ende 1949 Geschichte. Auf der Jahrestagung der BGC 1950 berichtete sie über ihren persönlichen Hintergrund und ihren Weg zum Glauben. Ende d.J. kehrte sie wieder nach Deutschland zurück. Ihren Plan, ein Studium am neugegründeten Jugendseminar aufzunehmen, konnte sie nicht umsetzen. Ab 1951 arbeitete sie als Sekretärin bei Kenneth Norquist in Stuttgart, der inzwischen das Büro des Hilfskomitees des baptistischen Weltbundes (BWA-Relief Committee) für Deutschland leitete; gleichzeitig war er der Vertreter von Cralog für Württemberg. Oesterle lernte in dieser Zeit die führenden Repräsentanten des deutschen und internationalen Baptismus kennen. Nebenbei betätigte sie sich in der Studentenarbeit: Sie erstellte u.a. mit dem Studentenwart des BEFG, R. Thaut, die Studentenbriefe.

Ab Herbst 1952 studierte sie am Theologischen Seminar der BGC in St. Paul (Minnesota) mit dem Ziel, später in der Jugendarbeit tätig sein zu können. Sie sprach mehrmals auf den Jahrestagungen der BGC; so u.a. 1953 zum Thema: Was Deutschland von Bethel (College und Seminar) übernehmen könnte. Die Kosten für das Studium übernahm die BGC.

1955 erwarb sie den akademischen Grad des Bachelor of Divinity (Theologie) mit Auszeichnung. Als Anerkennung für hervorragende Leistungen im Bereich der Systematischen Theologie erhielt sie ein Stipendium.

Im Juli 1955 kehrte sie nach Deutschland zurück; unmittelbar danach wurde sie vom BEFG in der Studentenarbeit angestellt. Am Anfang übernahm die BGC vollständig die Kosten. Mit Peter Dienel, dem seit Oktober 1953 verantwortlichen Hauptamtlichen, organisierte sie die gesamte Arbeit einschließlich der Besuche, Freizeiten, Finanzfragen, Kontakte und Korrespondenzen. Eine erhebliche Förderung – besonders auch finanzielle - der Studentenarbeit geschah durch die American Baptist Foreign Mission Society (Missionsgesellschaft der nordamerikanischen Baptisten). Mit deren Europa-Repräsentant Edwin A. Bell, der die Studentenarbeit persönlich sehr unterstützte und auch an Veranstaltungen teilnahm, pflegte sie ein gutes Verhältnis.

Nach dem Ausscheiden von Peter Dienel Ende 1957 war sie allein in der Geschäftsstelle tätig. Im Reisedienst erfuhr sie eine Unterstützung durch Dr. Erich Farkas. Zu dieser Zeit führte sie auch noch eine Jugendarbeit unter Flüchtlingen durch, die durch die BGC finanziell unterstützt wurde. Am 1.11.1959 schied sie aus der hauptamtlichen Studentenarbeit aus, weil sie zum Oncken-Verlag wechselte. Eine Zeit lang leitete sie von Kassel aus noch ehrenamtlich die Geschäftsstelle der Studentenarbeit in Berlin. (Andreas Liese)

E-Mail von Ulrich Hühne, Karlsruhe, v. 27.2.2021.

E-Mail von Frank Fornaçon, Kassel, v. 27.2.2021.

E-Mail von Diethard Dahm, Berlin, vom 3.3.2021.

Gemeinderegister EFG Kassel-West.

Nachlass Norquist, Bundesratsberichte, Jahrbücher, Ordner B6.16 Studentenarbeit Nr. 10 (Oncken-Archiv Elstal).

Personalunterlagen aus dem Oncken Verlag Kassel (jetzt im Oncken-Archiv Elstal).

Bethel University (St. Paul/Minnesota): All Digital Library Collections: www.bethel.edu/library/digital-library/all-collections

Baptist General Conference Collection (Baptisten schwedischer Herkunft in den Vereinigten Staaten): Annual Reports 1951-1960.

Bethel Yearbooks (Bethel College and Seminary) 1951, 1954, 1955, 1958.

Pfingstseminar 1956, in: Junge Mannschaft 1956, Nr. 7, S. 14f.

Ein Student ist einer …, in: Die Gemeinde 1958, Nr. 10, S. 9.

Studenten, in: J. Meister (Hg), Bericht über den Kongress der Europäischen Baptisten 26.-31. Juli 1958 in Berlin, Kassel 1959, S. 143-145.

Mehr als erwartet. Konferenz der baptistischen Verleger, Schriftleiter und Autoren in Rüschlikon im Mai 1960, in: Semesterzeitschrift 1/1960, S. 19.

Probleme eines baptistischen Verlages, in: Semesterzeitschrift 5/1962, S. 18f.24.

Darf das so bleiben? Judenfeindschaft in der christlichen Kirche, in: Junge Mannschaft/Die Gemeinde. Sonderheft Israel. Die Juden heute und wir, Kassel Juli 1964 Nr. 7, S. 5-7.

Kapitelsitzung vom 25.7.1964 in Göttingen, in: mitteilungen Nr. 29 (Wintersemester 1964, 1. November) (zusammen mit Sigrid Caspari).

Deutscher Verband Evangelischer Büchereien, in: Evangelisches Gemeindelexikon, hg. v. Erich Geldbach u.a., Wuppertal 1978, S. 120 (Autorenverzeichnis S. 555).

Vorwort in: Evangelische Büchereien in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin, Göttingen 1979 (158 S.).

H.Wulf/A.Oesterle (Hg), Handwörterbuch der evangelischen Büchereiarbeit, Bielefeld 1980 (186 S.).

Leserbrief in: Die Gemeinde 37/1996 vom 15.9.1996, S. 7 („Mir verhilft … die Beschäftigung mit Entwicklungen in der zeitgenössischen Theologie … zu einer Vision dessen, was die Bibel Reich Gottes nennt, ohne die ich mich nicht als Christ verstehen könnte.“).

Übersetzungen (aus dem Englischen und Amerikanischen) zumeist für die Buchproduktion des Oncken Verlags Kassel:

Stephen C. Neill, Männer der Einheit. Ökumenische Bewegung von Edinburgh bis Neu-Delhi, Kassel 1961, 208 S. (amerikanisches Original: Brothers of Faith, Nashville 1960); Stephen Neill war anglikanischer Bischof und einer der beigeordneten Generalsekretäre des Ökumenischen Rates.

Markus Barth, Solidarität mit den Sündern. Wesen und Auftrag der Gemeinde nach dem Epheserbrief, Kassel 1961 (amerikanische Originalausgabe: The Broken Wall, Philadelphia 1959; deutscher Text „vom Verfasser durchgesehen und erweitert“), 285 S. Markus Barth war ein Sohn des bekannten Theologen Karl Barth und seit 1953 Prof. für Neues Testament in den USA u.a. an der Universität Chicago, seit 1973 in Basel.

Eugenia Price, Sprechstunde für die Frau, Kassel 1962, (7. Aufl. 1969, Taschenbuch 1971), 160 S.

Stephen C. Neill, Wer ist Jesus Christus?, Kassel 1963 (78 S.).

Stephen C. Neill, Was ist der Mensch?, Kassel 1963 (78 S.).

Paul S. Minear, Bilder der Gemeinde. Eine Studie über das Selbstverständnis der Gemeinde anhand von 96 Bildbegriffen des Neuen Testaments, Kassel 1964, 299 S. (Originalausgabe: „Images of the Church in the New Testament“, Philadelphia 1960) Dr. Paul Minear war Prof. für Neues Testament an der Divinity School der Yale University in New Haven/USA und seit 1963 Vorsitzender der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates.

D. T. Niles, Mit dem Evangelium leben, Kassel 1965 (80 S.). D.T.Niles war Methodist aus Ceylon, seit 1953 Präsident des Christlichen Studentenweltbundes, Prediger und prominenter Sprecher des asiatischen Christentums und seit 1968 einer der sechs Präsidenten des Ökumenischen Rates.

Harvey Cox, Der Christ als Rebell oder Streitreden wider die Trägheit, Kassel 1967, 5. Aufl. 1970, 96 S. (Originalausgabe: „God´s Revolution and Man´s Responsibility“, Valley Forge/Pennsylvania/USA 1966) Harvey Cox war Baptist und Prof. an der theologischen Fakultät der Harvard University.

Lee A. Belford, Einführung in das Judentum, Kassel 1967, 88 S.

James F. Nyquist, Gruppenbibelarbeit. Vorbereitung und Leitung, Aussaat Verlag Wuppertal 1967, 63 S.

William Barclay, Freut euch und frohlocket. Eine Anleitung zum Verständnis der Seligpreisungen, Kassel 1968, 111 S.

2000 Jahre Zungenreden. Glossolalie in biblischer, historischer und psychologischer Sicht, Kassel 1968, 99 S. (amerikanisches Original: Glossolalia, Nashville und New York 1967) (enthält Beiträge von E.Glenn Hinson, Frank Stagg und Wayne Oates, der Beitrag von W.Oates wurde von Dr. Margret Quer übersetzt)

Reuel L. Howe, Die schöpferischen Jahre. Partnerschaft vor Gott in Ehe, Beruf und Erziehung, Kassel 1968, 217 S.

Eugenia Price, Gott kommt uns immer entgegen. Von der schöpferischen Kraft der Liebe, Kassel 1968, ²1969, 119 S. (Taschenbuch, Brockhaus Wuppertal 1974).

Daisuke Kitagawa, Rassenkonflikte und christliche Mission. Eine kritische Untersuchung der völkischen und rassischen Spannungen in Afrika, Asien und Amerika, Aussaat-Verlag Wuppertal 1968, 164 S.

Alan Paton, Werkzeug deines Friedens, Kassel 1969, 115 S. Alan Paton war ein führender Mann der Reformbewegung in Südafrika.

Mahalia Jackson, Mein Leben (zusammen mit Evan McLeod Wylie), Flamberg Verlag Zürich 1969 u. ö. (Originalausgabe „Movin` on up“, New York 1966), 205 S.

Bill Milliken, Trau keinem über dreißig, wenn er nicht gekreuzigt ist, Kassel 1970, 176 S.

Baptistengemeinde in der Krise, von Thomas J. Holmes (englisches Original: Ashes for Breakfast), übersetzt von Annemarie Oesterle, in: Die Gemeinde 1971, Nr. 1-27.

József Farkas, Wie der Mensch zum Menschen wird. Über die Zehn Gebote, Oncken Verlag Wuppertal 1971, 128 S. (amerikanische Ausgabe: Bench Marks, 1969)

Jahrbuch 1957/58, S. 11 (Geschäftsstelle der Studentenarbeit, Berlin-Steglitz).151;

J. Meister (Hg), Bericht über den Kongress der Europäischen Baptisten 26.-31. Juli 1958 in Berlin, Kassel 1959, S. 200;

Evangelisches Gemeindelexikon, hg. v. E. Geldbach u.a., Wuppertal 1978, S. 555;

Luise Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, Gütersloh (2005) 4.Aufl. 2015, S. 10 (Vorwort);

Erich Geldbach, Nachruf auf Peter Dienel, in: ZThG 12/2007, S. (9-12) 9, online: https://gftp.de/downloads-und-dokumente/send/36-zthg-12-2007/366-nachruf_egeldbach;

Traueranzeige vom Oncken Verlag (Heinz Sager), in: Die Gemeinde 11/2009, S. 29;

Harold Eisenblätter, Zur Geschichte des BEFG von 1965-1975: eine Zeit der Neuorientierung (von 2009): https://www.befg.de/fileadmin/content/BEFG/Themen/Bundesrat/Bundesrat_2017/175_Jahre_Baptisten_Teil_8.pdf

W. Weist, R. Assmann, Dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde. Die Schrifttumsarbeit im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR (Baptismus-Dokumentation 7), Elstal 2017, S. 216.

Roland Fleischer, Krise und Ende der Studentenarbeit 1968-1971 im BEFG. Ein Erfahrungsbericht, 2021: https://www.befg.de/fileadmin/content/BEFG/Krise-und-Ende-der-Studentenarbeit-1968-1971-RF-final-neue-U-berschrift-2-Erganzungen-30-4-2021.pdf, S. 1.7.

Bildnachweis: Privatbesitz Elisabeth Norquist

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