pawloff

Wassili Pawloff

Wassili Guriewitsch Pawloff, auch Pawlow/Pavlov (* Februar 1854 in Voroncovka bei Tiflis (Kaukasus/Russland, heute Georgien); † 15. April 1924 in Baku) war Baptistenprediger und Missionspionier in Südrussland (Tiflis), seit 1907 in Odessa und ab 1917 in Moskau, der auch eine achtjährige Verbannung nach Sibirien erdulden musste. Er war Mitarbeiter und eine Zeit lang Vorsitzender des russischen Baptisten-Bundes und hatte Verbindungen zum deutschen und zum weltweiten Baptismus. Er gilt als „Vater des russisch-ukrainischen Baptismus“ (D. Heinz).

pawloff-odessa.jpgSeine Eltern gehörten zur streng religiösen Gruppe der Molokanen, die alle Rituale der russisch-orthodoxen Kirche ablehnten, auch Taufe und Abendmahl nur sinnbildlich verstanden also nicht wirklich vollzogen und sich einzig auf die Bibel beriefen. Pawloff empfing nach vielen Unterredungen im Alter von 17 Jahren die Taufe von Nikita Woronin, dem ersten russischen Baptisten, am 9. April 1871 in Tiflis. In dessen Betrieb absolvierte er auch eine kaufmännische Ausbildung. Seine Gemeinde sandte ihn auf Vorschlag des deutschen Baptistenpredigers Martin Kalweit 1875 nach Hamburg zu einem einjährigen Missionskurs (die deutsche Sprache hatte er bereits in seiner Kindheit gelernt). An dessen Ende wurde er von J.G.Oncken zum Missionar für Russland ordiniert. Daraufhin kehrte er 1876 in die Gemeinde Tiflis zurück, die inzwischen vierzig Mitglieder zählte. Er übersetzte das deutsche Glaubensbekenntnis von 1847 ins Russische, um der Baptistengemeinde eine fundierte theologische Grundlage zu vermitteln. Seine Gemeinde anerkannte die Ordination durch Oncken und berief ihn 1879/80 zu ihrem Pastor. Missionsreisen führten ihn bis zum Ararat und ans Kaspische Meer. Danach unternahm er Missionsreisen u.a. nach Samara, Astrachan und ins Dongebiet, wo später Baptistengemeinden entstanden. Im Jahre 1880 erhielt die Gemeinde Tiflis mit ihrem Prediger Pawloff eine amtliche Bestätigung und er organisierte 1884 die „Allrussische Baptistenunion“. Dennoch erlebte er Verfolgung von Staat und Kirche und wurde 1887 mit Woronin für insgesamt acht Jahre nach Sibirien verbannt; die ersten vier Jahre in die Orenburger Steppe am Ural, die zweiten vier Jahre in die Kirgisensteppe. Weil er nach der Rückkehr wieder Predigtverbot erhielt, flüchtete er nach Tultscha in Rumänien und kehrte erst 1901 mit seiner zweiten Frau und seinem Sohn nach Tiflis zurück. Seine erste Frau war in der Verbannung mit drei Kindern an der Cholera gestorben, ein Sohn ertrank im Aralfluss. (1905 konnten viele weitere Verbannte aufgrund eines Manifestes über religiöse Freiheit nach Südrussland und in den Kaukasus zurückkehren.) Pawloff evangelisierte mit Erlaubnis des Gouverneurs vor Tausenden in Berdjansk und Charkow. Dennoch gingen Einschränkungen und Behinderungen der Missionsarbeit durch Ortsbehörden und Geistliche weiter. Zur Festigung der Arbeit wurde 1907 eine Missionsgesellschaft gegründet, die 19 Evangelisten für ein Jahr anstellen konnte. Dabei wurden sie auch von zwei deutschen Missionskomitees der Baptisten und Mennoniten unterstützt, die in Verbindung mit ihnen arbeiteten. Auf dem 1. europäischen Baptistenkongress 1908 in Berlin war Pawloff Referent, der über die Entwicklung des Baptismus in Russland berichtete. Von 1907 bis 1914 übernahm Pawloff den Predigdienst in der russischen Gemeinde Odessa und arbeitete dort auch mit der deutschen Gemeinde von Carl Füllbrandt (Vater) zusammen. Um dem ständigen Verfolgungsdruck auszuweichen hielt er sich mit Beginn des Ersten Weltkriegs geheim in Turkestan auf. Nach der Oktoberrevolution 1917 wurde er nach Moskau berufen, wo er der Moskauer Baptistengemeinde zusammen mit seinem Sohn Paul diente.

„Unter seiner Befürwortung wurde das Hamburger Glaubensbekenntnis angenommen und Onckens Baptismus mit geschlossenem Abendmahl eingeführt und festgehalten“ (W.Gutsche, Quellen, 1956, 90). Auf der Bundeskonferenz in Rostow am Don wurde er 1909 zum „Vorsitzenden des lose organisierten Bundes der Baptisten“ gewählt. „1913 begründete er in Odessa die baptistische Zeitschrift „Slovo istiny“ (Das Wort der Wahrheit), die bis 1922 erschien“ (D.Heinz). Er war ein „Draufgänger“, der sich vielen Gefahren aussetzte und ein Sprachgenie; außer Russisch, sprach er Georgisch und Tatarisch, vermutlich auch Armenisch und Persisch, mit exzellenten Deutschkenntnissen, der die Bibel auch in Griechisch und Latein lesen konnte. Außerdem hatte er als Heranwachsender Hebräisch in der jüdischen Schule in Tiflis gelernt. „Zum Ende seines Lebens kannte er um die 25 Sprachen und Dialekte“ (H.Hartfeld). Er besaß gute biblische Kenntnisse und war ein exzellenter Bibellehrer. Ihm wurde Vertrauen und Anerkennung entgegengebracht von seiten orthodoxer Theologen und bekannten Tolstoianhängern. Davon zeugen die freundschaftlichen Gespräche zwischen diesen Gruppen und Baptisten in Moskau im Jahre 1919. Anlässlich seines 50jährigen Dienstjubiläums 1921 übernahm der Bund als Anerkennung für ihn und seine zweite Frau ein Ruhestandsgehalt. Im Jahre 1923 zog er mit seiner Frau nach Transkaukasien und plante eine Mohammedanermission. Aber schon ein Jahr später starb er in Baku und wurde auf Wunsch der Gemeinde in Tiflis beigesetzt.

Bei der Gründung des Baptistischen Weltbundes in London 1905 war Pawloff anwesend, auch auf dem zweiten Weltkongress 1911 in Philadelphia/USA. Zum letzten Mal besuchte er 1922 Deutschland und bedankte sich für die Evangelisation unter russischen Kriegsgefangenen.

Bedeutung: Er verbreitete den Baptismus Onckenscher Prägung in Russland. Er war ein leidenschaftlicher und mutiger Missionar der Anfangszeit. Dazu war er ein Draufgänger, kompromisslos und direkt, in ständiger Beobachtung durch Behörden und orthodoxe Geistliche und darum häufig auf der Flucht. Er hielt tiefgehende Bibelstunden und das Interesse an seiner Verkündigung war groß. Er setzte sich „für eine Öffnung des russischen Baptismus und für den Anschluss an die Weltkirche ein. Aus diesem Grund verlegte er den Sitz des Bundes nach Moskau“ (D.Heinz). Sein „Einsatz sowohl für die Bibeltreue als auch für die ´Weltoffenheit` in Form einer religiösen Toleranz wurde nicht immer verstanden“ (H.Hartfeld). Er „wurde zum Brückenbauer mit dem Westen, aber hauptsächlich zwischen den verschiedenen baptistischen Gemeindebünden“ (H.Hartfeld).

Mit seiner ersten Frau hatte er fünf Kinder. Sie folgte ihm 1887 in die Verbannung nach, wo sie und ihre Kinder starben; nur der jüngste Sohn, Paul/Pavel, überlebte. Seine zweite Frau stammte aus Petersburg, war deutscher Abstammung und hieß Alexandra. (RF nach Pawloffs Vortrag von 1908 und den Lebensberichten von W. Gutsche 1956, H. Hartfeld 1999/2007 und D. Heinz 2001).

Lebensbericht bei Waldemar Gutsche, Westliche Quellen des russischen Stundismus, 1956, S. 86-92.

Nachruf: Carl Füllbrandt, Wasili Guriewitsch Pawloff †, in: Wahrheitszeuge 1924, Nr. 29, S. 231f.

J. H. Rushbrooke, Vasili Pavlov. A Russian Baptist Pioneer, in: The Baptist Quarterly Vol. 6, 1933, S. 361-367: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/0005576X.1933.11750299

Biographien:

Hermann Hartfeld, Wassilij G. Pawlow, Russland (1854-1924), in: Sie folgten Jesus nach. Lebensbilder, die Mut machen , hg. v. G.Wieske und H.Löwen jun., Bornheim/Bonn 1999, S. 72-81.

Daniel Heinz in BBKL Bd. XVIII (2001), Sp. 1131-1135 (Vasilij Pavlov): https://www.bbkl.de/index.php/frontend/lexicon/P/Pa/pavlov-vasilij-g-65840

Wilhelm Kahle, Evangelische Christen in Rußland und der Sovetunion. Ivan Stepanovic Prochanov (1869-1935) und der Weg der Evangeliumschristen und Baptisten, Wuppertal und Kassel 1978, S. 579f.

Eine Missionsreise unter den Baptisten und den sogen. Stundisten im Kaukasus, Ararat etc., Oncken-Verlag Hamburg 1878 (vgl. Donat, Ausbreitung, 533).

Die Glaubensstimme (Liederbuch), Tiflis 1880.

Der Baptist (Zeitschrift des russischen Baptistenbundes), hg. seit 1907, erst von Masajew dann von Pawloff.

Entwickelung und Stand des Baptismus in Rußland, in: Offizieller Bericht über den 1. Kongreß der europäischen Baptisten. Gehalten zu Berlin vom 29.August bis 3.September 1908, hg. v. F.W.Simoleit, S. 209-217.

Das Wort der Wahrheit (Zeitschrift), Odessa 1913-1922.

siehe auch: Quellen.

J. Lehmann, Geschichte, Bd. II, 1900, S. 316.317; Offizieller Bericht über den 1. Kongreß der europäischen Baptisten. Gehalten zu Berlin vom 29.August bis 3.September 1908, hg. v. F.W.Simoleit, S. 34.66.209.211.212.213.214.336.366; Johannes Warns, Rußland und das Evangelium. Bilder aus der evangelischen Bewegung des sogenannten Stundismus, Cassel 1920, ³1924, S. 80.106.121.130 (Foto nach 168); Carl Füllbrandt, Wassily Pawloff, in: Wahrheitszeuge 1922, Nr. 13, S. 94-96; Carl Füllbrandt, Wasili Guriewitsch Pawloff †, in: Wahrheitszeuge 1924, Nr. 29, S. 231f; Benjamin Schmidt in Jahrbuch 1924, S. 10f; Werk und Aufgaben der Baptisten in Rußland, in: Wahrheitszeuge 1928, Nr. 43, S. 340f; C.A.Flügge, Notschreie aus Rußland. Sechzig Briefe von Augenzeugen, Kassel 1930, S. 139; Täuferbote März 1930, S. 6; J. H. Rushbrooke, Vasili Pavlov. A Russian Baptist Pioneer, in: The Baptist Quarterly Vol. 6, 1933, S. 361-367, online: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/0005576X.1933.11750299; C.A.Flügge, Werdet Seelengewinner! 4.Aufl. 1934, S. 116;

Waldemar Gutsche, Westliche Quellen des russischen Stundismus. Anfänge der evangelischen Bewegung in Rußland, Kassel 1956, S. 56.58.86-92; Gunnar Westin, Geschichte des Freikirchentums. Der Weg der freien christlichen Gemeinden durch die Jahrhunderte, (Upsala 1954) Kassel (1956) ²1958, S. 280; J. D. Hughey, Die Baptisten. Einführung in Lehre, Praxis und Geschichte, Kassel 1959, S. 109; Waldemar Gutsche, Religion und Evangelium in Sowjetrussland zwischen zwei Weltkriegen (1917-1944), Kassel 1959, S. 21.27.46.49.87.120.121.124;

R. Donat, Ausbreitung, 1960, Register und S. 487.533; Die Baptisten (Die Kirchen der Welt II), hg. v. J.D. Hughey, Stuttgart 1964, S. 177;

Elsbeth Highfield, (Die baptistischen Gemeinden. Zur Geschichte Cataluis) Zur Geschichte der Baptistengemeinde Katalui, in: Jahrbuch 1972 der Dobrudscha-Deutschen, S. 208-217: http://www.dobrudscha.eu/doc/Jahrbuch/1972_208.pdf (S. 7); Hans Brandenburg, Christen im Schatten der Macht. Die Geschichte des Stundismus in Rußland, Wuppertal 1974, S. 64.98-100.128.141.149.151.153.161; Wilhelm Kahle, Evangelische Christen in Rußland und der Sovetunion. Ivan Stepanovic Prochanov (1869-1935) und der Weg der Evangeliumschristen und Baptisten, Wuppertal und Kassel 1978, Register und 579f (Pavlov, Vasilij); Art. Baptisten (Luckey/Geldbach), in: Ev. Gemeindelexikon, 1978, S. (46-48) 48;

Hans-Christian Diedrich, Siedler, Sektierer und Stundisten. Die Entstehung des russischen Freikirchentums, (Dissertation Humboldt-Universität Berlin 1979) Berlin 1985, S. 113-116.164; Ders., Ursprünge und Anfänge des russischen Freikirchentums. OIKONOMIA (Quellen und Studien zur orthodoxen Theologie, Bd. 21), Erlangen 1985, S. 315-322.326;

Wilhelm Kahle, Zur Periodisierung der Geschichte des evangelischen Freikirchentums in Rußland und in der Sowjetunion, in: Verein zur Förderung der Erforschung freikirchlicher Geschichte und Theologie (Freikirchenforschung), Referate des 3. Symposiums April 1991, Münster 1991, S. (3-10) 8; Heinrich Löwen, jun., Russische Freikirchen. Die Geschichte der Evangeliums-Christen und Baptisten bis 1944 (Missiologica Evangelica, Bd. 8), Bonn 1995, bes. S. 94-100; Gerd Stricker, Deutsche Anteile am Entstehen eines russischen Freikirchentums. Zum Weg der russischen ´Stundisten` in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in: Boris Meissner/Alfred Eisfeld (Hg), Der Beitrag der Deutschbalten und der städtischen Russlanddeutschen zur Entwicklung des Russischen Reiches 1850-1917, Köln 1999, S. 326f;

Daniel Heinz in BBKL Bd. XVIII (2001), Sp. 1131-1135 (Vasilij Pavlov); Hermann Hartfeld, Die russlanddeutschen Gemeinden in Deutschland auf dem Weg der Selbstfindung. Ein Erfahrungsbericht, in: Freikirchenforschung 16/2007, S. (32-54) 32f.34.35;

Johannes Dyck, An der Wiege der Bruderschaft. Johann Wieler (1839-1889) und die Gemeinschaften der frühen evangelischen Christen in Russland, Lage 2016, S. 77.78.105.165; R. Fleischer und F. Graf-Stuhlhofer (Hg), Theologie und Politik bei deutschsprachigen Baptisten in Südosteuropa. Dokumentation aus der Zeitschrift „Täufer-Bote“ 1930-42, Bonn 2021, S. 304 (= Täuferbote März 1930, 6); Tobias Weger, Die Baptisten in und aus der Dobrudscha. Eine lokale und eine globale Verflechtungsgeschichte, in: Entgrenzungen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Andrea Strübind, hg. v. Sabine Hübner und Kim Strübind, Berlin 2023, S. (97-122) 110f.

Bildnachweis: Oncken Verlag Kassel 1908

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