Siegfried Schmal
Siegfried Schmal (bis 1928 Schmul) (* 10. März 1904 in Briesen/Westpreußen; † 8. März 1974 in São Paulo/Brasilien) war Pastor jüdischer Herkunft. Er lernte zunächst Elektromonteur und wurde dann nach Studium am baptistischen Predigerseminar in Hamburg Pastor in Ostpreußen und Schlesien. Im Sommer 1938 wurde er auf Anordnung des NS-Gauleiters aus dem Gemeindedienst entfernt, kam nach der Pogromnacht 1938 ins KZ Sachsenhausen und konnte Anfang Januar 1939 mit seiner Familie nach Brasilien emigrieren. Dort war er als Pastor und Judenmissionar tätig.
Leben
Seine jüdische Familie konvertierte nach und nach zur Baptistengemeinde Berlin, Gubener Straße. Er wurde 1926 getauft und begann im gleichen Jahr ein Studium am Seminar in Hamburg von 1926 bis 1931. Danach war er Pastor in Pobethen/Ostpreußen und ab 1933 in Grünberg/Schlesien. 1936 in Berlin anlässlich seiner Trauung durch Friedrich Sondheimer wurde er von einem Gemeindeglied denunziert. Paul Schmidt stellte sich als Bundesdirektor schützend vor ihn und die anderen judenchristlichen Mitglieder. Im Sommer 1938 musste er auf Anordnung des Gauleiters in Schlesien Josef Wagner aus dem Gemeindedienst in Grünberg entlassen werden. (Paul Schmidt schreibt in den Kurzberichten aus dem Bundeshaus vom Juli 38 von „allerlei Angriffen in der Gemeinde“ und im Laufe des Jahres ließen sich 42 Mitglieder, auffällig viele im Vergleich zu den Jahren davor und danach, in andere Gemeinden überweisen. Darf man das als Protest gegen seine Entlassung verstehen?) Trotz seiner Verhaftung nach der Pogromnacht 1938 und Einweisung ins KZ Sachsenhausen bis zum 1.12.1938 gelang die Emigration nach Südamerika, endgültig am 4.1.1939 mit Ehefrau und zwei Kindern. Die Familie war zuletzt im Diakonissenhaus Tabea in Hamburg untergebracht „vor der Öffentlichkeit verborgen“. In Brasilien war er als Judenmissionar tätig in Santa Rosa und Carazinho, Pastor der deutschsprachigen Vereinigung in Rio Grande do Sul und zuletzt in São Paulo. 1961 konnte er dank Vermittlung durch Dr. Rudolf Thaut noch einmal nach Deutschland zurückkehren, um seine Mutter Rosa Schmul in Berlin zu besuchen. Auch seine Schwester Frieda überlebte die NS-Zeit im Versteck bei der Baptistin Lucie Seiffert in Berlin. Er war verheiratet mit der Kontoristin Gertrud Loebmann, deren Vater ebenfalls jüdischer Herkunft war. Mit ihr hatte er fünf Kinder. (RF)
Siegfried Schmal †, Brasilien, in: Die Gemeinde 17/1974, S. 16 (Nachruf von Dr. Rudolf Thaut).
Ausführlicheres Biogramm in: R. Fleischer, Judenchristliche Mitglieder in Baptistengemeinden im „Dritten Reich“, ThGespr, Beiheft 12 (2012/2019), S. 42-46: https://theologisches-gespraech.de/ausgabenuebersicht/beiheft-thgespr-2012-rev-2019
Porträt in: Evangelisch getauft – als ´Juden` verfolgt. Theologen jüdischer Herkunft in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch, hg. v. H. Ludwig und E. Röhm, Stuttgart 2014, S. 306f (Andrea Strübind/Roland Fleischer).
Quellen
Kurzberichte aus dem Bundeshaus Juli (8.8.), Oktober (4.11., 24.11.), November (9.12.) 1938, Januar 1939 (6.2.) (Oncken-Archiv Elstal).
Bundespost 1938/1939 (Oncken-Archiv Elstal).
Protokoll der Bundesleitungssitzung am 23./24.11.1960, Anlage 2: Protokoll der Beratung der Arbeitsabteilung „Mission“ am 22.11.1960 in Stuttgart, S. 3 („Antrag Bruder Siegfried Schmal, Sáo Paulo, auf Unterstützung seiner Deutschlandbesuchsreise“) (Oncken-Archiv Elstal).
Entschädigungsakte Siegfried Schmal, Nr. 282388, Amt für Wiedergutmachung 54439 Saarburg, Heckingstraße 31.
Erinnerungen von Bethelschwester Esther Hoffmann, Berlin (Aufzeichnungen datiert Mai 1998, Oncken-Archiv Elstal).
E-Mail der Gedenkstätte Sachsenhausen vom 21.3.2012: in der Datenbank findet sich eine „Anweisung zur Entlassung zum 30.11.1938.“ Die Anweisung kam von der „Politischen Abteilung“; Siegfried Schmal trug die Häftlingsnummer 12861; das Original befindet sich im Russischen Staatlichen Militärarchiv Moskau.
E-Mail ITS Bad Arolsen v. 12.10.2012: Namenliste des KZ Sachsenhausen Dok.ID 4091939 und Korrespondenzakte T/D 889904, ITS Archiv.
Veröffentlichungen
Wahrheitszeuge 1937, Nr. 34 (8.8.1937): Siegfried Schmal über „Zehn Jahre Gemeinde Grünberg.“
Brief aus Brasilien, in: Die Gemeinde 22/1961, S. 12f (Foto S. Schmal mit seiner Mutter).
Literatur
Jahrbuch 1933, S. 44.89; Jahrbuch 1937, S. 52.90;
Jahrbuch 1949, S. 126 (Carasinho/Brasilien); Jahrbuch 1952, S. 139 (Sao Paulo/Brasilien); Festschrift 75jähriges Jubiläum des Predigerseminars der EFG (Baptisten) in Deutschland, Hamburg-Horn 1955, S. 52; Jahrbuch 1957/58, S. 169 (Judenmission in Sao Paulo); Begegnung mit deutschen Baptisten in Brasilien. Notizen aus dem Reisetagebuch von Dr. Rudolf Thaut, in: Die Gemeinde 35/1960, S. 6f; Jahrbuch 1968/69, S. 180 (Judenmission Sao Paulo);
Siegfried Schmal †, Brasilien, in: Die Gemeinde 17/1974, S. 16 (Nachruf von Dr. Rudolf Thaut); G. Balders (Hg), Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. 150 Jahre Baptistengemeinden in Deutschland 1834-1984. Festschrift, Wuppertal/Kassel 1984, S. 102; Karl Zehrer, Evangelische Freikirchen und das „Dritte Reich“, Göttingen 1986, S. 56.93; Andrea Strübind, Unfreie Freikirche, 2.Aufl. 1995, Register;
V. Waffenschmidt (Hg), Unterwegs zu den Menschen. Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Ev.-Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Steglitz, Berlin 2000, S. 153; Karl Heinz Voigt, Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert) (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/6), Leipzig 2004, S. 175; Bernhard Konieczny, Geschichte der „Gemeinde gläubig getaufter Christen (Baptisten)“ in Grünberg (Schlesien) in den Jahren 1902-1945, Frankfurt/O. März 2007 (Manuskript 16 S., Oncken-Archiv Elstal), bes. S. 8f.11f; Roland Fleischer, „Das verachtete Volk der Juden“. Baptisten, die Pogromnacht 1938 und das Verhältnis zum Judentum, in: Freikirchenforschung 17/2008, S. (196-221) 208.214: https://dienste-in-israel.de/wp-content/uploads/2019/09/Das-verachtete-Volk-der-Juden.-Baptisten-die-Pogromnacht-1938-und-das-Verha%CC%88ltnis-zum-Judentum-Roland-Fleischer-.pdf;
Hans-Joachim Leisten, Wie alle andern auch. Baptistengemeinden im Dritten Reich im Spiegel ihrer Festschriften, Hamburg 2010, S. 176f; Andrea Strübind, „Wir Christen unter Zuschauern.“ Die deutschen Baptisten und die Judenverfolgung in der Zeit der NS-Diktatur, in: D. Heinz (Hg), Freikirchen und Juden im „Dritten Reich“. Instrumentalisierte Heilsgeschichte, antisemitische Vorurteile und verdrängte Schuld, Göttingen 2011, S. (151-181) 164.170.174 (jetzt auch in: ZThG 23/2018, S. [78-107] 90.96.100, online: https://gftp.de/downloads-und-dokumente/send/48-zthg-23-2018/664-astruebindi); Roland Fleischer, Baptisten jüdischer Herkunft in der NS-Zeit. Schicksale, Umgang Hintergründe, in: ThGespr 3/2012, S. (107-128) 118.120.122.123.125.127; Andrea Strübind/Roland Fleischer, Art. Siegfried Schmal, in: Hartmut Ludwig/Eberhard Röhm (Hg), Evangelisch getauft - als ´Juden` verfolgt. Theologen jüdischer Herkunft in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Gedenkbuch, Stuttgart 2014, S. 306f; Roland Fleischer, Die deutschen Baptisten und ihr Verhalten zu Juden und Judenchristen besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, in: ZThG 23/2018, S. (53-77) 70f, auch online: https://gftp.de/downloads-und-dokumente/send/48-zthg-23-2018/663-rfleischer; R.Fleischer, The German Baptists and their Conduct towards Jews and Jewish Christians, especially during the Third Reich, in: The Peoples of God. Baptists and Jews over Four Centuries, John H.Y. Briggs and Paul Fiddes (editors) (Centre for Baptist Studies in Oxford Publications Vol. 18), Oxford 2019, p. 217f.
Bildnachweis: Oncken Verlag 1961 („Die Gemeinde“ 22/1961)